NS-Ausbürgerung

Emigranten im Visier der Gestapo

„Ich beantrage die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit des Rechtsanwalts …“

Anwälte als Opfer des Massenraubs der Staatsangehörigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus

Fast drei Jahrzehnte arbeitete Arthur Kaufmann (1888–1971), einer der Hauptvertreter des Rheinischen Expressionismus, an dem großformatigen Tryptichon „Die Geistige Emigration“. Zunächst in die Niederlande emigriert, vollendete der Künstler sein Werk Mitte der 1960er Jahre in New York. Das Gemälde zeigt in der Endfassung 38 prominente Emigranten. Am Bildrand hat sich der Maler auch selbt verewigt. 17 der dargestellten Personen wurden zwischen 1933 und 1941 ausgebürgert, in der Abfolge der Ausbürgerungslisten: Heinrich Mann und Ernst Toller (1933), Oskar Maria Graf, Klaus Mann und Erwin Piscator (1934), Erika Mann (1935), Arnold Zweig , Thomas Mann (1936), Ludwig Renn (1937), George Grosz und Bruno Frank, Kurt Goldstein (1938), Ernst Bloch, Paul Zucker, Paul Tillich (1939), Berthold Viertel und Ernst Toch (1941).1

Ermöglicht wurde die Ausbürgerung durch eine „Rechtsetzung“ aus der „Revolutionszeit des NS-Regimes“2: Das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit wurde am 14. Juli 1933 mit 18 weiteren Gesetzen erlassen. Emigranten, die „durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben“, konnten danach „der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig“ erklärt werden. Der Reichsminister des Innern vollzog die Ausbürgerung der „Volksverräter“3 im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Auswärtigen. Auf Vorschlag der Gestapo wurde die Ausbürgerung in der Regel auf die Ehefrau und minderjährige Kinder „erstreckt“.

Das Auswärtige Amt wies die diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen an, „bei sich bietender Gelegenheit“ den betroffenen Personendie in ihren Händen befindlichen deutschen Pässe abzunehmen“ und ihnen „selbstverständlich“ Schutz zu versagen. Im Inland war die Gestapo bemüht, verbliebene Vermögenswerte aufzuspüren und „sicherzustellen“, noch bevor die Einzelnen durch die Ausbürgerung geächtet wurden. Von der Vermögenskonfiskation der Ausgebürgerten profitierten zunächst die Länder. Im Ringen um die Verwertung der eingezogenen Vermögen oder Vermögensbestandteile ging das Reich aber nicht leer aus. Nach einem Führererlass vom 29. Mai 1941 sollten vorrangig jedoch „die gebietlichen Selbstverwaltungskörperschaften“ zum Zuge kommen. Allerdings konnte der Führer und Reichskanzler „im Einzelfall andere Anordnungen“ bezüglich der „Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden“ treffen.4 Auch die deutschen Universitäten waren in dieses Staatsunrecht verstrickt: Als Folgestrafe der Ausbürgerung entzogen sie den rechtmäßig verliehenen Doktorgrad.  Ermessensspielraum hatten sie dabei nicht.

Ausbürgerung und Depromotion wurden nur amtlich bekannt gemacht. Der 1933 aus Berlin nach Prag geflüchtete Kurt Rosenfeld5 – seit 1905 Rechtsanwalt in Berlin – empfand seine Ausbürgerung noch als „Anerkennung“. Viele der Betroffenen erhielten von ihrer Strafexpatriation aber nie Kenntnis, wohl nur im Einzelfall durch eine „Glücksfee“6. Namen und Geburtsdaten der Vielen, die in den Mahlstrom dieser bürokratischen Verfolgung gerieten, verzeichnen die im „Reichsanzeiger“ und im „Reichssteuerblatt“ veröffentlichten Listen. Im Exil veröffentlichte Carl Misch 1938 ein erstes „Gesamtverzeichnis der Ausbürgerungslisten 1933–1938“. Bis Ende März 1945 wurden mit 359 Listen rd. 39.000 Personen ausgebürgert.7 Diesen „Massenraub der Staatsangehörigkeit in einer scheinbar legalen Form“ hat der langjährige SPD-Reichstagsabgeordnete Rosenfeld bereits 1934 – nach der Ausbürgerung von „nur“ 70 der vielen ins Ausland geflüchteten Politiker, Künstler und Intellektuellen – als „ein besonderes Kennzeichen des nationalsozialistischen Regimes“ klar herausgestellt. Neben den Listen, die das Ergebnis abbilden, hat das Verfahren der Ausbürgerung in tausenden Einzelfällen Niederschlag in amtlichen Akten gefunden – vom Antrag der Gestapo bis hin zur Vermögensverwertung und Entziehung der Doktorwürde.

Bei der Auswahl seines „Personals“ hat Arthur Kaufmann keine Juristen berücksichtigt. Auch sie zählten aber zur „Geistigen Emigration“. Und viele von ihnen wurden ausgebürgert. In mehr als 600 Einzelschicksalen wird diese bürokratische Gegnerverfolgung in der Dokumentation Ausgebürgert unter dem Hakenkreuz anhand der Ausbürgerungsakten des Auswärtigen Amts8 erstmals für einen juristischen Berufsstand annähernd dokumentiert. Die Anwälte, die der „deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig“ erklärt wurden, waren nach der NS-Rassenideologie nahezu ausnahmslos „deutsche Juden“9. Im Einzelfall bereits vor 1933 als „jüdische Rechtsanwälte“ stigmatisiert, wurden sie alle nach 1933 im Inland mit ihren Angehörigen systematisch diskriminiert und entrechtet. Gegen die ins Ausland Geflüchteten konnte die Gestapo unter fadenscheinigen Begründungen eine Ausbürgerung beantragen. Sie hatte die Macht über Tatsachen, die die Strafmaßnahme begründeten. Die Diplomaten spielten in diesen Verfahren nicht die erste Geige. Aber ihre Zustimmung war erforderlich. Und sie wurde erteilt. Die Fallakten des Auswärtigen Amts geben Zeugnis von diesem kooperativen Verwaltungshandeln. Sie lassen aber auch Leben und Schicksal der von der Strafexpatriation Betroffenen erkennen, wenn auch im Zerrspiegel dieser NS-Überlieferung. Mit Inkrafttreten der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 bedurfte es auch für die Ausbürgerung emigrierter „jüdischer Rechtsanwälte“ nicht länger eines förmlichen Verfahrens. Vom Raub der Staatsangehörigkeit waren nun alle betroffen: „Ein Jude“ verlor danach die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er „seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat“ oder „später nimmt“.10 Die Verordnung legalisierte damit auch den Vermögensverfall der „nach dem Osten“ Deportierten.

Mit der Ausbürgerung des „deutschblütigen“ Rechtsanwalts Dr. Udo Rukser hatte es der Reichsminister des Innern nicht eilig. Nach der Zustimmung des Auswärtigen Amts vom 4. November 1943 wurde die Ausbürgerung erst am 21. März 1944 im Reichsanzeigerverkündet.11 Das beschlagnahmte Restvermögen des „Reichsfeindes“ wurde daraufhin konfisziert. Vermögenswerte der „jüd. Ehefrau“ waren der Gestapo bei Antragstellung „nicht bekannt geworden“. Dora Rukser geb. Richter hatte ihre deutsche Staatsangehörigkeit bereits seit dem 25. November 1941 verloren. Die Staatenlosen wurden erst im November 1949 chilenische Staatsangehörige. Gemäß Art. 116 Abs. 2 GG beantragten Udo und Dora Rukser Ende 1969 ihre Wiedereinbürgerung. Das für Schienen – ihren letzten Wohnsitz vor der Emigration – zuständige Landratsamt Konstanz stellte nach Prüfung die Einbürgerungsurkunden aus. Sie wurden am 13. Februar 1970 im Generalkonsulat in Valparaiso ausgehändigt.

                                             

1 Claus-Dieter Krohn, Exilforschung, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 20.12.2012: http://docupedia.de/zg/krohn_exilforschung_v1_de_2012 [Konsultiert: 6.4.2022]; Gerhard Ribbrock, Arthur Kaufmann (1888–1971): Maler, Netzwerker und Mensch, in: annoRAK. Mitteilungen aus dem Rheinischen Archiv für Künstlernachlässe, Heft 7, Bonn 2019, S. 102–115.

2 Irene Strenge, 30. Januar 1933 bis 2. August 1934. Juristische Aspekte der Revolutionszeit des NS-Regimes, Berlin 2020, S. 116f.

3 Unter der im Satzspiegel laufenden zweizeiligen Überschrift „Volksverräter / ausgestoßen aus der deutschen Volksgemeinschaft!“ veröffentlichte der „Illustrierte Beobachter“, die Wochenbeilage des „Völkischen Beobachters“, 1933 (Folge 36, S. 1176) 24 Fotos von mit der 1. Liste vom 25. August ausgebürgerten Personen, unter ihnen die Berliner Rechtsanwälte Alfred Apfel, Bernhard Weiß und Johannes Werthauer.

4 RGBl. I 1941, S. 303; Josephine Ulbricht, Das Vermögen der „Reichsfeinde“. Staatliche Finanzverwaltung und Gegnerverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland (= Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus, Bd. 6), Berlin/Boston 2022.

5 Ausgebürgerte und Staatenlose, in: Die neue Weltbühne (Prag/Zürich), Nr. 17 vom 26.4.1934, S. 519–522, 519.

6 „Wieder kam eines Tages eine Glücksfee. Herbert [Weichmann] erhielt von einem Bekannten die Mitteilung, daß er im ‚Deutschen Reichs- und Staatsanzeiger‘, dem offiziellen Blatt der deutschen Regierung, seine Ausbürgerung und die Aberkennung seines Dr. jur., den er in Breslau gemacht hatte, veröffentlicht seien. Jubelnd fielen wir uns in die Arme. Die Studienverkürzung konnte beantragt werden. Den Nachweis seiner Studienabschlüsse hatte die deutsche Reichsregierung uns frei Haus geliefert.“ Elsbeth Weichmann, Zuflucht. Jahre des Exils. Mit einem Vorwort von Siegfried Lenz, Hamburg 1983, S. 156f.

7 Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Bd. 1: Listen in chronologischer Reihenfolge, hg. v. Michael Hepp, eingeleitet v. Hans Georg Lehmann u. M. Hepp, München [u.a.] 1985.

8 Zur Beschlagnahme und „Odyssee“ der von amerikanischen und britischen Spezialeinheiten an verschiedenen Auslagerungsorten aufgespürten diplomatischen Akten vgl. Astrid M. Eckert, Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe von deutschem Archivgut nach dem Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2004, S. 76ff.

9 Dan Diner, Die Katastrophe vor der Katastrophe: Auswanderung ohne Einwanderung, in: Dirk Blasius u. Dan Diner (Hg.), Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland, Frankfurt am Main 1991, S. 138–160, 148: „Die Verwandlung deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in deutsche Juden“.

10 RGBl. 1941 I, S. 722–724; selbst im Fall des langjährigen Rechtsberaters des Auswärtigen Amts Erich Kaufmann, der das Deutsche Reich in mehreren Prozessen vor dem Ständigen Gerichtshof in Den Haag vertreten hatte, wurde prominenten Fürsprechern beschieden, dass „eine ausnahmsweise Belassung der Staatsangehörigkeit zu Gunsten Kaufmanns nicht dem Willen des Führers entsprechen würde“. Auf Anordnung des Reichskommissars für die Niederlande vom Juni 1942 sollte aber von einer „Zwangsverschickung und Vermögenseinziehung des Juden Kaufmann“ abgesehen werden. Diesem Schutz vertraute Kaufmann nicht; er überlebte im Untergrund. Vgl. Frank Degenhardt, Zwischen Machtstaat und Völkerbund. Erich Kaufmann (1880–1972), Baden-Baden 2008, S. 128f.

11 Nach Erlass der „Zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Führung akademischer Grade“ vom 23. März 1943 trat mit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit „zugleich“ der Verlust des akademischen Grades ein; RGBL. I, S. 168. Eine förmliche Entziehung des Doktorgrades durch die Universität Breslau ist daher weder für „Ruckser“ – entsprechend der Schreibweise des Namens bereits im Ausbürgerungsantrag – noch für Rukser dokumentiert; die letzte für Breslau ermittelte Depromotion datiert vom 23. Februar 1943; Kai Kranich, Anpassung im Nationalsozialismus. Die Universität Breslau und die Aberkennung von Doktortiteln, Wrocław 2012, S. 174. – Alle Abbildungen aus dem „Reichsanzeiger“ aus: Reichsanzeiger / Staatsanzeiger by year: digi.bib.uni-mannheim.de/periodika/reichsanzeiger/.