Udo Rukser (1892–1971)

1892

10. August: Eduard Udo Gustav Rukser wird als Sohn von Paul Friedrich Rukser (1850–1925; Geheimer Justizrat, 1903) und Emilie geb. Coester (1856–1932) in Posen geboren.

1910

Ostern: Abitur am Kgl. Auguste Viktoria-Gymnasium in Posen.

1910–1913

Studium der Rechtswissenschaften in Halle, Berlin und Breslau.

1913

Erste juristische Staatsprüfung ~ Dr. jur. (Breslau) ~ Verbindung zu Künstlern und Publizisten des Expressionismus („Allotria“).

1916–1918

Heeresdienst als ungedienter Landsturmmann; EK II (1918).

1919

Zweite juristische Staatsprüfung ~ Zulassung als Rechtsanwalt (Berlin).

1920

Berlin, 21. März: Heirat mit Lotte Emilie Blumenthal (1899–1921), der Schwester seines späteren Sozius Dr. Otto Blumenthal (1897–1988).

1921

Tod der Ehefrau und des Sohnes ~ Kauf einer Doppelhaushälfte in Rehbrücke bei Potsdam (Wohnsitz).

1922

Februar: Auf Veranlassung von Staatssekretär a.D. Theodor Lewald (1860–1947) Teilnahme als Sachverständiger für Minderheitenschutz an Verhandlungen über Oberschlesien in Genf ~ Saarmund, 1. September: Heirat mit Dorothee (Dora) Gabriele Richter (*16. Mai 1889 in Berlin), einer Schwester des mit Rukser befreundeten Malers Hans Richter (1888–1976).

1924

Eintritt von Otto Blumenthal in die Anwaltspraxis, die sich „im Laufe der Jahre zu einer der ertragreichsten Anwaltsfirmen in Berlin“ entwickelte, spezialisiert „auf dem Gebiet der Polen-Schäden, d.h. der Entschädigung, die nach dem ersten Weltkrieg deutschen Besitzern wegen ihrer Vermögensverluste in den durch den Versailler Vertrag an Polen gefallenen Ostgebieten entstanden waren“.

1925

Zusammen mit den Berliner Rechtsanwälten Dr. Erwin Löwenfeld (1888–) und Dr. Heinrich Freund (1885–1948) Mitbegründer und Mitherausgeber der Zeitschrift „Ostrecht“ (seit 1927: „Zeitschrift für Ostrecht“).

1929

Bestellung zum Notar (Berlin-Schöneberg, seit 1930 im Bezirk des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg).

1932

Kauf einer Villa in Neubabelsberg (Wohnsitz) ~ Verkauf des Hauses in Rehbrücke an den Archivar Dr. Friedrich Thimme (1868–1938).

1933

Udo Rukser erklärt sich mit den jüdischen Mitherausgebern der „Zeitschrift für Ostrecht“, Heinrich Freund und Erwin H. Loewenfeld, solidarisch, von deren Ausscheiden aus der Redaktion die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft die weitere Subventionierung der Zeitschrift abhängig machte ~ Eintreten u.a. für die vom Berufsverbot betroffene Frankfurter Anwältin Dr. Elfriede Cohnen: Dabei „lernte ich das NS-Regime gründlich kennen. Ich hatte mit den neuen Leuten im preussischen Justiz-Ministerium zu verhandeln, mit dem Staatssekretär [Dr. Roland] Freisler und seinem Gehilfen Rechtsanwalt [Dr. Siegmund] Kunisch. Bei diesen Verhandlungen wurde mir rasch klar, dass es nur noch auf Willkür und Gewalt ankomme“.

1934

Kauf des Oberbühlhofs auf der Höri (Bodensee) ~ Aufgabe der Anwaltszulassung ~ Übersiedlung auf den Oberbühlhof (Post Wangen/Radolfzell) ~

Umbau der „Villa“ zum „Landhaus“ (Architekten: Otto von Estorff und Gerhard Winkler, Potsdam) ~ Gartengestaltung: Herta Hammerbacher, Bornim (https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?p=51&O=193927; zuletzt aufgerufen: 15.9.2023) ~ Anbau und Bewirtschaftung von Edelobstkulturen (Berater: Paul Weber, Bodman) ~ Bau einer modernen Süßmosterei.

~ Aufbau einer Edelobstplantage – unterstützt von Paul Weber (1893–1985), Obstbauer in Bodman – und Einrichtung einer modernen Süßmosterei.

1936

Beteiligung an der von Dr. Kurt Badt (1890–1973) und Paul Weber gegründeten Taosta GmbH, die mit einem Stammkapital von 78.000 RM das Obstgut Rimpertsweiler Hof in Oberstenweiler bei Salem betrieb ~ Durchsuchung des Oberbühlhofs während einer Griechenlandreise von Udo und Dora Rukser.

1937

Nach Erwerb weiterer Anteile der Taosta GmbH von Kurt Badt allein mit Paul Weber (Anteil: 3.400 RM) Gesellschafter des Rimpertsweilerhofs.

1938

Obstgut Oberbühl: Goldene Medaille der Internationalen Industrie- und Fachausstellung Luxemburg ~ August: Udo und Dora Rukser sowie Paul Weber nehmen am XII. Internationalen Gartenbaukongress in Berlin teil ~ nicht realisierte Bauvorhaben auf dem Oberbühlhof (Planung: Ludwig Hilberseimer)  ~ Novemberpogrom: „Belagerung“ des Oberbühlhofs und Verhaftung von Otto Blumenthal durch SS ~ dabei wird Rukser – „von SS und Gestapobeamten festgenommen und mit der Waffe bedroht“ (Otto Blumenthal) – durch Eingreifen des Ortsgendarmen aber wieder freigelassen ~ Entschluss zur Auswanderung ~ Dora Rukser, die sich bereits einige Zeit in der Schweiz aufhielt, kehrt nach den Ereignissen nicht mehr nach Deutschland zurück.

1939

2. Februar: Verkauf der Villa in Neubabelsberg an den Zeitungsverleger Dr. Erich Stückrath ~ Otto Blumenthal – im November 1938 mit weiteren Juden aus der Gemeinde Wangen in das KZ Dachau verbracht und am 8. Dez. aus der „Schutzhaft“ entlassen – emigriert im Februar mit seiner Ehefrau und seinem Sohn nach Palästina ~ nach gescheiterten Verkaufsbemühungen Verpachtung des Oberbühlhofs an die Eheleute Fritz und Dr. med. Liesel Cordes ~ Bestellung von Paul Weber zum Generalbevollmächtigten ~ nach Zahlung der Reichsfluchtsteuer (489.830 RM) und weiterer Abgaben am 21. März Abreise Ruksers vom Oberbühlhof in die Schweiz ~ Auswanderung von Udo und Dora Rukser sowie von Dr. med. Erika Bondiek (1911–2001, einer Nichte Ruksers; seit 1940 verheiratet mit dem Arzt und chilenischen Politiker Dr. Leonardo Guzmán Cortés, 1890–1971) über Italien nach Chile ~ Transfer seiner Kunstsammlung ~ mangels eines Absatzmarkts für Honig Aufgabe des Vorhabens, sich in Chile als Imker zu betätigen ~ Beteiligung an der Cia. Ganadera de Tongoy Ltda., einer Schaffarm in der wüstenartigen Provinz Coquimbo im Norden Chiles mit weiteren Sommer-Kamps in den argentinischen Kordilleren (Provinz San Juan).

1940

„Das Schicksal hat uns ein schönes Weihnachtsgeschenk gemacht“: Bei der Parzellierung der Hacienda San Isidro durch die amtliche Siedlungsbank Zuschlag zum Erwerb einer „Chacra“ (14 ha) in Quillota – zwischen Valparaiso und Santiago de Chile im Aconcaguatal: „Das ist die beste, fruchtbarste und schönste Gegend Chiles.“ Der Chacra geben Udo und Dora Rukser als Zeichen ihres Dankes an das Zufluchtsland Chile den Namen „Las Gracias“: „Von dem Land, das ein geschlossenes Rechteck bildet, sind 1, 5 ha als Hausgarten bepflanzt mit allen möglichen Obstbäumen.“ ~ Übertragung von Anteilen an der Taosta GmbH an Paul Weber.

1941

Verkauf des Oberbühlhofs an die Pächter und bis 1942 Übertragung aller Anteile an der Taosta an Paul Weber ~ Aufbau der Obstfarm in Quillota auch durch Transferleistungen aus den Verkaufs- und Übertragungserlösen ~ Dora Rukser verliert als Jüdin aufgrund der 11. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ v. 25.11.1941 die deutsche Staatsangehörigkeit.

1943

20. Januar: Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Chile und dem Deutschen Reich ~ Mitgründer und Mitherausgeber der „Deutschen Blätter“ (Santiago de Chile)

1944

Udo Rukser ist nach Ausbürgerung aufgrund § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 staatenlos ~ Beschlagnahme des restlichen Vermögens des „Reichsfeindes“ (53.047,15 RM).

1946

Nach vergeblichen Bemühungen, Förderer für die Weiterführung der „Deutschen Blätter“ zu finden, Ende 1946 Einstellung der Zeitschrift.

1949

Oberbühlhof: Restitutionsklage beim Landgericht Konstanz (Restitutionskammer) durch Rechtsanwalt Dr. Hans Jentsch (Rudolfzell) ~ Mitglied der Academia Goetheana (Sāo Paulo) ~ Verleihung der chilenischen Staatsangehörigkeit.

1950

Klage auf Restitution des Oberbühlhofs „als unbegründet“ abgewiesen.

1951

Aufhebung des Urteils des Landgerichts (Restitutionskammer) durch das Bad. Oberlandesgericht – Restitutionsamt ~ Rückerstattung des Oberbühlhofs.

1952

29. September: Verkauf des Oberbühlhofs durch Paul Weber (Bodman) an den Industriellen Dr. Ing. e.h. Richard-Eugen Dörr (1896–1975).

1953

Erste Europareise von Udo und Dora Rukser.

1958

Vergleich mit dem Land Berlin im Entschädigungsverfahren für den Verlust des Goodwills der Anwaltssozietät Dr. Udo Rukser u. Dr. Otto Blumenthal (jetzt Bental): 75.000 DM.

1962

Verleihung des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch Botschafter Dr. Hans Strack (Santiago de Chile).

1964

Fellow der John Simon Guggenheim Memorial Foundation.

1964/65

Fünfte und letzte Europareise von Udo und Dora Rukser.

1966

Berufung zum „Miembro Académico“ der Facultad de Filosofía y Educación de la Universidad de Chile, Santiago de Chile.

1967

„Mittler zwischen Deutschland und Lateinamerika“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung anlässlich des 75. Geburtstags) ~ Verleihung des höchsten chilenischen Ordens Bernardo O‘Higgins.

1969

Antrag von Udo und Dora Rukser auf Wiedereinbürgerung.

1970

Aushändigung der Einbürgerungsurkunden im Generalkonsulat Valparaiso.

1971

Verleihung der Goethe-Medaille in Gold im Goethe-Institut in Santiago de Chile ~ Udo Rukser stirbt am 6. Juni nach einem Schlaganfall in Quillota.

1972

10. Oktober: Dora Rukser stirbt in Providencia, Santiago de Chile ~ Ruhestätte von Udo und Dora Rukser im Familiengrab Guzmán-Bondiek in Santiago de Chile.

Nachruf

Humboldt, 12. Jg. (1971), H. 45, S. 72f.